Alle Menschen üben zu einem gewissen Maß über die eigene Aura eine magnetische Kraft aus, mit der sie sich gegenseitig anziehen und zu Familien und Gemeinschaften verbinden. Im Frühstadium menschlicher Entwicklung geschieht das meist rein instinktiv, ohne daß der Mensch diese Angewohnheit bewußt wahrnimmt. Der Durchschnittsmensch hat generell einen eher egoistischen und sich abgrenzenden Charakter, als daß er sich auf die Gruppen bezieht. Und anstatt alles daranzusetzen, daß es seinen Mitmenschen gut geht, kämpft er nur um sein eigenes Vorwärtskommen, wobei er sich häufig auch nicht scheut, seinen Bruder, der ihm im Wege steht, rücksichtslos über den Haufen zu rennen. Er nimmt es mitunter sogar in Kauf, andere zugrunde zu richten, um sie oder das, was sie besitzen, für sich als Sprungbrett zu benutzen. Und falls er doch einmal an gemeinschaftlichen Projekten teilnehmen sollte, ist sein Motiv meist nur der eigene Vorteil, denn die Gemeinschaft dient ihm lediglich als Instrument, das sich für die eigenen Interessen bequem nutzen läßt.
Ein nicht gerade angenehmes Bild, das sich hier bietet, aber es ist dennoch repräsentativ für einen großen Teil der Menschheit, der sich gerade erst öffnet für das weite Feld der zunehmenden mentalen Fähigkeiten. Noch aber befinden sich diese Menschen auf einer Stufe rücksichtsloser Selbstsucht.
Glücklicherweise ist das bloß eine Phase, durch die grundsätzlich jeder Mensch auf seinem Wege der Entfaltung hindurchmuß, bevor er bewußt erkennen kann, daß er ein integraler Teil eines größeren Ganzen, der Menschheit ist. Die Übergangsphase zwischen diesen beiden Stufen ist in der Regel verwirrend, denn die Betonung muß sich von einem 'was ist das beste für mich?' auf ein 'was erweist sich als Vorteil für die Gruppe oder die Menschheit?' verlagern. Dabei prallen vorübergehend die niederen und die höheren Prinzipien aufeinander, und für eine längere oder weniger lange Periode balanciert man zwischen diesen beiden Alternativen - ein Abwägen der eigenen Interessen gegenüber jenen der Gruppe, der Vorteil des Individuums gegenüber dem der Gemeinschaft. Es hilft in diesem Zusammenhang sicher, daran zu denken, daß die niederen Prinzipien mit dem Individuum zu tun haben, und die höheren Prinzipien die Gruppe betreffen. Anfangs ist es noch schwierig, die richtige Entscheidung zu treffen, aber allmählich wird mit einer erweiterten Sichtweise des Jüngers die humanistische Haltung von selbst stärker, bis schließlich ein Zustand erreicht ist, wo alle persönlichen Interessen freiwillig und bereitwillig zugunsten der Gruppe aufgegeben werden.
Wenn sich zunehmend Verantwortungsgefühl entwickelt, ist dies eins der ersten Zeichen, daß die Seele ihr Instrument beeinflußt. Dann lebt der Mensch nicht nur mehr seinen Eigeninteressen, sonderen er sieht auch die Bedürfnisse seines Mitmenschen und Möglichkeiten, etwas zu tun, um das Leben für andere lebenswerter zu gestalten. In zunehmendem Maße nimmt er die Verpflichtung auf sich, seines Bruders Hüter zu sein, soweit es seine Fähigkeiten und die Lebensumstände, in die er gestellt wurde, erlauben. Es reift in ihm die Erkenntnis, daß sein eigenes Befinden, seine Zufriedenheit, sein innerer Frieden, sein geistiges Wachstum, ja selbst sein Wohlstand eng mit dem seines Mitmenschen verknüpft ist. Dieses Bewußtsein wächst und dehnt sich aus, bis sich das Mitgefühl für zunächst Familie und Bekannte auch auf das eigene Land und schließlich die ganze Welt erstreckt. Dieser Geist der gegenseitigen Anteilnahme und Verantwortung hat im letzten Jahrhundert die Vielfalt lokaler, regionaler und internationaler Bewegungen und Organisationen hervorgebracht, die in immer größerer Zahl der Hilfe, dem Schutz, der Unterstützung und dem Wohlergehen der Mitmenschen Sorge tragen. Das Prinzip des Gebens statt des Nehmens findet nicht nur individuell sondern allgemein immer mehr Anklang, und selbst das Ideal universaler Bruderschaft werden hier und da in zaghaften ersten Ansätzen sichtbar.
Im letzten Abschnitt wurde kurz aufgezeigt, daß sich langsam aber sicher die Haltung des Menschen gegenüber seinem Mitmenschen verändert. Ähnliches vollzieht sich auch bei der Enwicklung des Jüngers, mit dem Unterschied, daß es diesen immer mehr dazu drängt, die Gruppe zu finden, mit der er zusammenarbeiten kann. Zunehmende Seelenkontrolle äußert sich in Form von Idealismus jeder Art, als Impuls Opfer zu bringen und sich einzusetzen, wobei der Dienst in der Gruppe im Vordergrund steht.
Jüngerschaft heute ist vor allem das Experiment, in Gruppen zu arbeiten. Das heißt, es geht weniger um die individuelle Vervollkommnung als darum, daß Individuen sich gegenseitig ergänzen und stärken, damit der Gesamtwert ihrer Fähigkeiten und Bemühungen ein komplexes Gruppengefüge ergibt, durch das spirituelle Energie zum Nutzen der Menschheit wirksam werden kann. Dazu muß man sich aber auf der Mentalebene begegnen können und sich zuerst bemühen, die Gruppe so zusammenzuschweißen, daß alle Mitglieder in engem, mentalen Kontakt stehen und in spiritueller Harmonie zusammenarbeiten können. Hierbei werden die Jünger auch lernen müssen, ihre individuelloen Bemühungen um eigenen Fortschritt den aktuellen Bedürfnissen der Gruppe unterzuordnen - das macht es mitunter erforderlich, daß einige ihr Wachstum in mancher Hinsicht beschleunigen, andere dagegen ihr Tempo zeitweilig auf das der Mehrheit herunterschrauben müssen. Daher sollten alle willens sein, den Wunsch nach persönlicher Beachtung zurückzunehmen und in erster Linie das gemeinsame Bemühen der Gruppe und die Bereicherung des Gruppenbewußtseins im Auge zu haben.
In diesem Zusammenhang sei noch einmal daran erinnert, daß die Meister keinerlei Interesse an persönlichkeitsbezogenen Reaktionen ihrer Jünger haben; nur deren seelische Entfaltung hat für sie zentrale Bedeutung; die Meister kümmern sich daher einzig und allein um die Seelen und versuchen, diese aufzumuntern, weiterzuentwickeln und zu erleuchten.
Die vereinte invokative Kraft der Gruppe ist erheblich effektiver als es die Summe aller Einzelbestrebungen ihrer Mitglieder je sein kann, und dementsprechend auch die Reaktion, die durch den Gruppenkanal hervorgerufen wird - eine gewaltige Brücke mit Fahrspuren in beide Richtungen wird damit konstruiert, die extensiven Energietransfer ermöglicht, anstelle von mehreren, schmalen und ineffektiven Ein-Mann-Brücken.
Gruppen lassen sich auch, gemessen am Entwicklungsstand der meisten ihrer Mitglieder, in so etwas wie Vorbereitungs- oder Fortgeschrittenengruppen einteilen. So wie beim Individuum wird auch die Effektivität der Gruppe als invokativer und evokativer Kanal für den Energiefluß von hierarchischen Ebenen vom Entwicklungsstand bestimmt.
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Unter der Schirmherrschaft der Hierarchie bilden sich heute eine ganze Reihe von Vorbereitungsgruppen in allen Ländern der Welt. Später einmal werden diese kleineren Gruppen zusammengefaßt und sich zu einer weltweiten Bewegung des guten Willens vereinen, die die Kraft der Liebe ausstrahlt. Noch ist es nicht soweit; aber man sollte sich schon jetzt darum bemühen, daß sich bestimmte Aspekte der ja schon jahrzehntelangen Vorbereitungsarbeit konsolidieren können.