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Montag, 24. Oktober 2011

Das Geheimnis des Buddha (Wei Wu Wei)




Das Geheimnis des Buddha

aus: Wei Wu Wei - Das offenbare Geheimnis

Die alten Meister hatten Freude an einem Späßchen. So hätte zum Beispiel einer von ihnen sagen können, daß der Buddha ein Geheimnis hatte, welches Mahakashapa *) jedoch verriet. Bekanntlich war Mahakashapa jener Bodhisattva *), auf den das "Höchste Fahrzeug" *), das heute vor allem in Ch'an *) [jap. Zen] weiterlebt, zurückzuführen ist. Er war es, der jene berühmte Predigt begriff, bei welcher der Buddha lediglich eine Blume hochhielt und kein Wort sprach. Ein anderer Meister hätte daraufhin bemerken können, daß ein Geheimnis nur so lange ein Geheimnis bleibt, wie du es nicht begreifst. Und tatsächlich, erscheinen nicht alle Mysterien und Wunder uns nur in jenem Maße als solche, wie wir ihr Entstehen und Erscheinen nicht verstehen können? Doch sobald du verstehst, so hätte ein weiterer Meister hinzufügen können, ist es Mahakashapa, der das Geheimnis nicht bewahrt.

Deshalb ist ein Geheimnis nichts weiter als etwas, das die Menschen im allgemeinen nicht verstehen; und Mahakashapa, das Geheimnis nicht bewahrend, war das tatsächliche Geheimnis des Buddha. Nur dann also, wenn ein Geheimnis nicht bewahrt wird, ist ein Geheimnis da; uns ist ein Geheimnis da, dann ist es nicht bewahrt worden. Was nicht geheimgehalten wird, ist ein Geheimnis; und was geheimgehalten wird, ist überhaupt kein Geheimnis mehr. Somit ist mit einem "Offenbaren Geheimnis" ein Geheimnis gemeint, das nicht geheimgehalten wird.

Dies ist das Geheimnis, das niemals bewahrt wurde; und es ist wohl ein ewiges Geheimnis. Wie der Buddha ES in Indien besaß, so besaß ES zu beinahe gleicher Zeit Lao-tzu *) in China; und wie Mahakashapa ES in Indien verriet, so verriet ES in China Chuang-tzu *), und mit welch geistvoller Ironie!

War es nicht auch ein offenes Geheimnis in Griechenland, in Judäa und in Persien, und später in ganz Europa von England und Deutschland bis nach Italien und Spanien? So viele besaßen es, daß es einfacher ist, Nationen aufzuzählen als einzelne Personen. Nicht, daß berühmte Nationen zu viele hier zu nennen wären, doch ist es so, daß man nur die berühmten nennen kann - weil ES eben immer ein Geheimnis blieb, wenngleich ein offenes, und ES so viele Menschen teilten, die niemals je berühmt wurden! Tatsächlich ist daran etwas, das sich schlecht mit Ruhm verträgt, so daß Berühmte nicht zur Schau ES stellten; und die Ungenannten erstrebten keinen Ruhm. Die ES besitzen, versuchen nicht, ES zu lehren - denn zu vermitteln ist ES nicht; nur durch ihr Sein machen sie ES offenbar all denen, die wissen, wonach zu suchen ist. Ach, selbst die Heiligen besitzen ES nicht immer, vielleicht nicht einmal oft - wie sollten gerade wir ES also kennen?

Wonach aber können wir suchen? Wenig weiß ich, doch kann ich einen oder zwei Hinweise bieten: Sie lehren ES nicht (da sie dies nicht können), niemals aber weigern sie sich (denn niemals können sie sich weigern), zu helfen jedem, der ES sehen möchte; noch würden sie eine sich bietende Gelegenheit versäumen, ES auzuzeigen. Natürlich haben die Frommen von Beruf, wenn sie ES kannten, irh Leben mit Bemühen zugebracht, ES anderen mit den seltsamsten und überraschendsten Methoden zu enthüllen, aber leider hatten sie dabei nur wenig Erfolg. Wohl weil ES nicht mitgeteilt werden kann, noch aufgedrängt, noch abgegeben; wohl weil ES - und das muß sie nicht erschrecken - gar nichts Religiöses ist. Manche Religion betrachten ES sogar mit Mißtrauen, ungeachtet der Tatsache, daß ES die Botschaft aller echten Religionsstifter und aller wahren Propheten war. Natürlich ist auch Religion ein Weg dahin, und der gewöhnlichste zudem, doch einer, der sich seine eigenen Hindernisse schafft; und tatsächlich ist es ein sehr weiter Umweg - so wie die Religionen nun einmal sind!

Dennoch weiß man eine Menge über das offenbare Geheimnis, und vielen unter uns ist ES ein ernsthaftes Anliegen. Denn ob wir wollen oder nicht, ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen versuchen, ES zu finden. Ich suche das Mysterium zu ergründen, wohl wissend, daß es nur ein scheinbares ist; ich suche das Geheimnis zu enthüllen, wohl wissend, daß es offenbar ist; und dies in der Sprache unserer Zeit, indem ich die Worte so genau, so sorgfältig wie möglich wähle, und - wie in Philosophie und Wissenschaft - Kauderwelsch und Fachjargon über Bord werfe. Alle Leser, denen mein Vorgehen zusagt, lade ich ein, sich mit in meinem geduldigen Bemühen anzuschließen. Dabei folgen wir vor allem dem Rat der alten Meister aus China, ohne dabei die aus anderen Nationen und Glaubensrichtungen zu vernachlässigen.

Und sollte einer meiner Leser plötzlich (bevor ich selbst soweit bin) begreifen, daß das Geheimnis in der Tat gänzlich offenbar ist, werde ich mindestens genauso glücklich sein wie er. Ist das nicht großzügig von mir? Nein, wirklich nicht, denn im Bemühen, das offenbare Geheimnis zu ergründen, sollten wir zumindest wissen, daß dies keinem von uns möglich wäre, wenn da in diesem Augenblick einer wäre, es zu tun!

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